Ein Roboter-Rüssel lernt wie ein Baby

(this article is also available in English)

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Festos Bionic Handling Assistent (BHA), inspiriert von einem Elefantenrüssel

Schon vor gut einem Jahr habe ich über Festos Bionic Handling Assistent (BHA) geschrieben, der damals frisch mit dem Deutschen Zukunftspreis gekrönt war. Wir haben einen von diesen Robotern bekommen und im April letzten Jahres haben wir bereits hier über unsere ersten Gehversuche und die Simulation des Roboters geschrieben. In diesem Artikel wird es nun darum gehen, wie wir von Babys gelernt haben, den Roboter zu kontrollieren.

Vor einigen Wochen wurde der BHA in der Sendung mit der Maus gezeigt. Wer das Video bis zu Minute 5:00 verfolgt, bekommt jedoch den Haken mit: so faszinierend der Roboter, insbesondere der BHA, auch ist … es ist ebenso kompliziert, ihn zu bewegen.

Die Sendung mit der Maus – Festos BHA und Robotino

In der Sendung und bei den meisten Vorführungen des Roboters steht daher jemand an einer Fernbedienung, oder öffnet und schließt händisch die Ventile, wie zu Beginn des Videos zu sehen. Von einem praktischen Einsatz, bei dem der Roboter eigenständig Aufgaben erledigt, ist das noch meilenweit entfernt.

Das liegt unter anderem daran, dass der Rüssel anders ist, als andere Roboter. Seine elastischen Bewegungen sind sehr schwierig und nur annähernd in mathematische Gleichungen zu fassen. Genau diese Bewegungsgleichungen benötigen aber die klassische Verfahren zur Robotersteuerung. Selbst unser Modell reicht dazu kaum aus, denn es kann keine Auskunft über die Reichweite der vielen Aktuatoren liefern. Diese müsste man sehr genau kennen um den Roboter (klassisch) ansteuern zu können: es ergeben sich schnell sehr große Fehler, wenn der Regler einem Aktuator einen Befehl gibt, der außerhalb seiner Reichweite liegt.

Was das Ganze noch schwieriger macht sind die Verzögerungen im Bewegungsverhalten: der Roboter bewegt sich mittels Luftkammern, die mit Druckluft aufgeblasen werden, die aber erst mit Verzögerung in den Kammern ankommt. Danach dauert es einige Zeit, mitunter bis zu 20 Sekunden, bis der Roboter seine neue Postur erreicht und sich stabilisiert hat. Diese Verzögerungen machen viele der sonst auf Robotern verwendeten Regler praktisch nutzlos, da sie schnelles und exaktes Roboterverhalten benötigen.

Schwierig … aber dafür gibt es maschinelle Lernverfahren, von denen es unzählige Methoden gibt, um Roboter Bewegungen lernen zu lassen. Zunächst muss man den Roboter seinen Bewegungsraum explorieren lassen, also ausprobieren welche resultierenden Bewegungen durch verschiedene Motorkommandos hervorgerufen werden. Da liegt allerdings schon die nächste Krux mit dem BHA, denn: es gibt sehr, sehr viele verschiedene Motorkommandos. Die Standard-Ansätze zum Lernen erfordern, sie alle auszuprobieren. Auf dem BHA benutzen wir aktuell neun Aktuatoren (die Luftkammern). Möchte man pro Aktuator nur 10 verschiedene Kommandos ausprobieren, ergeben sich bereits eine Milliarde (10^9) Kombinationen. Es würde Jahrzehnte dauern, würde man ernsthaft versuchen die alle auf dem Roboter zu explorieren. In der Praxis würde man daher eher zufällige Kommandos auswählen, und einfach irgendwann aufhören. Natürlich ändert das aber auch nichts daran, dass man eigentlich alle Kommandos ausprobieren müsste, damit das Bewegungslernen funktionieren kann.

Was tun?

Um diesem Problem zu begegnen, haben wir uns Inspiration aus der Biologie geholt. Die Aufgabe, den BHA-Rüssel kontrollieren zu lernen, ist nämlich in vielerlei Hinsicht der Aufgabe von Babys sehr ähnlich, in den ersten Lebensmonaten zu lernen, ihre eigenen Gliedmaßen zielgerichtet zu bewegen. Sie müssen dafür lernen, 600 Muskeln zu koordinieren, und sind dabei unglaublich effizient. Was ist also der Trick, den wir lernen müssen, wenn wir unsere Experimente mit dem BHA ähnlich effizient durchführen wollen?

Einen Hinweis liefert eine wegweisende Studie von Claes von Hosten aus dem Jahr 1982. Diese Studie konnte zeigen, dass selbst Neugeborene sich nicht ‐ wie es zuerst scheint ‐ zufällig bewegen, sondern von Beginn an zielgerichtet in Richtung bewegter Objekte greifen. Das folgende Bild zeigt dies unglaublicherweise bereits bei einem wenige Tage alten Baby:

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Ein wenige Tage altes Neugeborenes zeigt bereits zielgerichtete Bewegung Richtung bewegter Objekte

Diese Erkenntnis wurde lange von der Machine Learning Community ignoriert, und sollte uns den entscheidenden Hinweis geben. Der von Matthias Rolf entwickelte Ansatz Goal Babbling, versucht nicht mehr durch zufällige Bewegungen den Bewegungsraum zu explorieren (Motor Babbling), sondern tut es von Anfang an zielgerichtet [Rolf et al., 2011]. Die Ergebnisse in Simulation waren vielversprechend, und haben gezeigt, dass dieser Ansatz auch mit 50 Freiheitsgraden zurecht kommt und nicht einmal mehr Zeit benötigt als für einen Roboter mit nur zwei Gelenken. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber dem zufälligen Explorieren des Raumes, dessen Zeit zum Explorieren exponentiell mit der Anzahl der Dimensionen steigt. Mit Goal Babbling erhalten wir erste brauchbare Resultate bereits nach wenigen hundert Bewegungen, was sogar mit der Geschwindigkeit menschlichen Lernens vergleichbar ist [Sailer and Flanagan, 2005]. Wir können also offenbar wirklich mit der biologischen Vorlage das Lernen massiv beschleunigen! Zeit also, das biologisch-inspirierte Lernen auf dem biologisch inspirierten Roboter anzuwenden.

In unseren ersten Experimenten lernte der Roboter lediglich einfache Bewegungen des Greifers nach links und rechts. Nicht besonders nützlich, aber trotzdem beeindruckend als Live-Demonstration, denn der Roboter konnte innerhalb von zwei Minuten eigenständig lernen, seine neun Kammern zu koordinieren und diese Bewegung auszuführen. Schnell zeigte sich außerdem, wie gut das Verfahren mit Hardware-Defekten umgehen konnte, obwohl wir wahrlich nicht vor hatten, das herauszufinden. Eines Tages während der Experimente stellten wir jedoch ein kleines Loch in einer der Luftkammern fest, durch das Luft entwich: die Kammer konnte sich nicht mehr aufblasen. Schlimmer noch: die Kammer bewegte sich passiv wie eine mechanische Feder mit, was die Bewegung des gesamten BHA-Rüssels beeinflusste. Das Lernverfahren scherte das kaum. Es lernte einfach die anderen Aktuatoren entsprechend einzusetzen ‐ zusammen mit der passiven Bewegung des defekten Aktuators. Wohlgemerkt: wir mussten dem Verfahren dafür nicht mitteilen, dass etwas defekt war. So einfach kann es manchmal sein!

Eine ähnlich gute Entdeckung machten wir, als jemand den Roboter hin und her schob, während er grade explorierte und lernte. Durch das Anschubsen des Roboters konnte man ihm tatsächlich unter die Arme greifen und ihm zeigen, wie sinnvolle Bewegungen aussehen. Schiebt man ihn in die Richtung, in die er sich gerade bewegen will (also die richtige Richtung), spürt man bemerkenswerterweise kaum Widerstand vom Regler. Das Lernen geschieht in diesen Momenten so schnell, das der Roboter die Bewegung schon während des Führens in den gelernten Regler einarbeitet. Folglich reicht es aus, ihm die Bewegung ein einziges mal zu zeigen. Das Ganze ist überhaupt nur möglich, weil das ziel-gerichtete Explorieren und sehr schnelles kontinuierliches Lernen des Goal Babblings mit dem leichten, nachgiebigen BHA-Rüssel aufeinander treffen. Preis-gekrönte 1, biologisch inspirierte Hardware und preis-gekröntes 2, biologisch inspiriertes Lernen.

Bei dem gesamten Vorhaben leistete uns die vorher entwickelte Simulation des Bewegungsverhaltens gute Dienste. Auch wenn das Lernen und Explorieren auf dem echten Roboter stattfand, war die Simulation für allerhand Visualisierungen und zusätzliche Vorhersagen nützlich. So ließ sich nun die Bewegung des Roboters bezüglich selbst-generierter (und ausschließlich virtuell existierender) Ziele während des Lernens darstellen, und das Lernen auf dreidimensionale Ziele (anstatt nur links/rechts) erweitern. Wir konnten nun Einblick in das Lernen nehmen und live während des Lernens vorhersagen, wie gut der gerade lernende Regler verschiedene Positionen im Raum anfahren kann. Wir lernten dadurch, dass sich das Lernen auf dem echten Roboter ganz ähnlich entfaltet wie es unsere ersten Simulations-Experimenten 2010 bis Anfang 2011 (noch komplett ohne den BHA) gezeigt haben.

Biologisch inspiriertes Lernen auf einem biologisch inspirierten Roboter

Auf dem Rüssel liefert Goal Babbling schnell nützliche Ergebnisse. Nach dem Lernen lässt sich der Greifer mit ca. 2 cm Genauigkeit im Raum positionieren. Das ist nicht direkt perfekt, aber reicht in vielen Fällen schon aus, da der flexible Fin-Gripper Gegenstände großräumig mit seinen elastischen Fingern umschließt. Um den Rüssel so schnell und gezielt wie im Video bewegen zu können, darf man nicht auf Feedback (also Bewegungsantworten) vom Roboter warten, da das bei der Pneumatik zu lange dauert. Solch einen Regler, der ohne Feedback auskommt, liefert uns das Lernen. Dadurch weiß der Roboter sofort, wo er hin muss, anstatt sich langsam und Schritt für Schritt ans Ziel heranzutasten. Feedback ist dann lediglich eine zusätzliche Hilfe, die wie in der letzten Sequenz im Video zu sehen, die Genauigkeiten auf 6-8 mm erhöht. In Anbetracht der Tatsache, dass der Rüssel selbst permanent ca. 5 mm hin- und herschwankt, ist das beachtlich.

Erwähnenswert ist außerdem: das Ganze funktioniert nicht nur einmalig und im Video. Wir haben sehr ausgiebige Experimente dazu gemacht, und es funktionierte in jedem Durchgang. Das Lernen von links-/rechts-Bewegungen haben wir regelmäßig in Live-Demos gezeigt, in denen der Roboter binnen 1-3 Minuten seine Bewegungen lernt. Unter Anderem haben wir dies live auf der Automatica 2012 in München gezeigt, auf der das Live-Lernen mit dem Roboter und dem Objekt-Tracking aus dem Video vier Tage lang jeweils acht Stunden lief.

Die gute Nachricht lautet also: es funktioniert! Und es funktioniert robust!

Festos Bionic Handling Assistant ist ein großartiger, spannender Roboter. Er ist nicht nur ein Hingucker durch seine Ähnlichkeit mit dem Elefantenrüssel, sondern seine Struktur macht auch den Umgang und die Interaktion mit ihm natürlich und sicher. Um ihn allerdings auf ähnliche Art und Weise kontrollieren zu können, wie wir es mit anderen Robotern tun, mussten wir einige Hürden überwinden: Ausgangspunkt war ein Roboter ganz ohne Modell und nur mit einfacher Druckregelung. Stück für Stück haben wir ein Vorwärtsmodell der Kinematik, Simulation und Längenregelung hinzugefügt. Der entscheidende Punkt war allerdings, maschinelles Lernen, vor Allem das durch Beobachtung von Babys inspirierte Goal Babbling einzusetzen, das erstaunlich schnell lernt, den Roboter zu kontrollieren.

Jetzt, da wir den Rüssel kontrollieren können, um Objekte zu greifen und zu bewegen: Für welche Aufgaben sollten wir ihn jetzt unbedingt einsetzen?

Kontakt:

 

Dr.-Ing. Matthias Rolf, CoR-Lab – Bielefeld University, mrolf@cor-lab.uni-bielefeld.de, Emergent Robotics Lab, Osaka University

Prof. Jochen Steil, CoR-Lab – Bielefeld University, jsteil@cor-lab.uni-bielefeld.de

 

Simulation des Bionischen Handling-Assistenten

(this article is also available in English)

Im April 2010 wurde der Bionische Handling-Assistent (BHA) von Festo auf der Hannover Messe der Öffent­lich­keit vorgestellt. In den fol­gen­den Mona­ten sah dieser bio­lo­gisch inspirierte Roboter­arm zu recht eine große Medien­präsenz und wurde mit zahl­reichen Prei­sen, unter anderem dem Deutschen Forschungspreis 2010, aus­ge­zeich­net. Im Februar 2011 bekamen wir dann unseren eigenen BHA, voller Vor­freude, denn wir wussten, dass niemand bislang mit dem BHA tun konnte, was wir mit ihm vor­hat­ten: ihn zu kon­trol­lieren. 1

Die Struktur und Funk­tions­weise des BHA ist inspi­riert von einem Elefan­ten­rüs­sel, wie in fol­gen­der Ab­bildung un­schwer zu erken­nen ist. Der Arm wird im Sinne des Rapid Proto­typings im 3D-Drucker gedruckt. Als Material wird Polyamid ver­wen­det, wodurch der gesamte Arm leicht-gewich­tig und durch­gängig ver­form­bar wird: Im Wesent­lichen besteht der BHA also aus Plastik und einer Menge Luft. Bewegt wird der Arm von drei­zehn pneu­ma­ti­schen Ven­tilen, die die drei­zehn Kammern des Robo­ters mit Luft füllen oder ent­leeren. Dies wiederum verbiegt, beugt und streckt die kom­plet­te Struktur.

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Von einem Elefantenrüssel inspiriert

Festo hat mit dem BHA die Vision eines leichten, frei­beweg­lichen Dritte-Hand-Systems, das den Men­schen bei seiner Arbeit unter­stützen kann. Dank seiner struk­tu­rel­len Nach­giebig­keit (Compliance) ist der Arm im Kontakt mit Menschen und seiner Umgebung natur­gemäß sicher, was die Mög­lich­keiten von direkter Zu­sam­men­arbeit von Mensch und Roboter eröffnet. In in­dustriel­lem Kontext kann der BHA in Fertigungs­pro­zes­sen ein­ge­setzt werden, z.B. um mit empfind­lichen Gütern wie z.B. Lebens­mit­teln zu arbeiten.

Als wir uns ent­schlos­sen haben, Festos Bio­nischen Handling-Assisten­ten zu erwer­ben, wussten wir, dass wenige der klas­si­schen und bekannten Ver­fahren mit diesem Roboter funktio­nie­ren würden. Trotz­dem war über­raschend, dass der Roboter ohne jeg­liche Software aus­ge­lie­fert wurde.

Keine Software.

Nichts.

Noch bis vor einem Jahr konnten wir mit dem BHA nicht viel mehr tun, als von Hand die pneu­ma­ti­schen Ven­tile zu öffnen und zu schließen, um damit entweder vol­len Druck oder gar keinen Druck in die Kam­mern zu geben. Auch damit waren die Be­we­gun­gen des Robo­ters absolut fas­zi­nie­rend und wir hatten großen Spaß, aber ernst­hafte An­wen­dungen waren damit natür­lich noch nicht möglich. Wie von Festo zugesagt, bekamen wir dann vor fast genau einem Jahr elektro­nische Ventile, mit denen wir (mehr oder weniger präzise) den Druck in den Kammern auto­ma­tisch vor­geben konnten. Nicht mehr und nicht weniger: den Druck kon­trol­lie­ren.

Um es einmal vorsichtig zu sagen: Der Schritt von dieser Druck­re­ge­lung zu einer ernst­haften An­wendung mit dem BHA ist groß!

Das tat­säch­liche Werkzeug, dass man mit dem BHA kon­trol­lieren will, ist der so­ge­nan­nte Fin Gripper am Ende des Arms. Diesen Greifer zu al­ler­dings genau zu po­si­tio­nie­ren setzt zu­al­ler­erst voraus, die Postur des Arms prä­zise bestimmen zu können. Den Druck in den ein­zel­nen Kam­mern zu kennen, reicht dafür bei weitem nicht aus; dass dies zum Scheitern ver­ur­teilt sein würde, diese Er­fah­rung hatten wir bereits mir anderen Robo­tik­platt­for­men gemacht: Zehn Mal den gleichen Druck auf einen pneu­ma­ti­schen Roboter zu geben, ergibt im Regel­fall zehn ver­schie­dene Posturen des Robo­ters. Reibung, Reibung, Hyste­rese-Effekte und Nicht-Stationaritäten ver­ändern das Ergeb­nis von Mal zu Mal.

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Die kinematische Struktur des BHA

Um diesen Problemen zu begegnen, besitzt der BHA Längen­sen­soren (Kabel-Poten­tio­meter), um an der Außen­seite des Arms die Streckung der einzel­nen Kam­mern zu messen (siehe obige Abbildung). Natür­lich wollten wir diese Länge nicht nur kennen, sondern auch kontrol­lieren können. Das ist theore­tisch mit klas­si­scher (PID-)Regel­technik möglich, aber funktio­niert auf diese Weise nur sehr schlecht. Um dieses Ver­hal­ten zu verbes­sern, könnte man nun ver­suchen, all das Wissen über den BHA in eine aus­ge­feil­tere Regelungs­technik zu stecken. Wenn man dieses Wissen bloß hätte …

Eine kurze Liste von Dingen, die man über den BHA nicht weiß:

 

Das präzise Verhältnis zwischen Druck in den Kammern und der geo­me­trischen Postur im Ruhe­punkt (im Equi­li­brium)

Jegliche Art von Dynamik (nicht nur der Pneu­ma­tik selbst, sondern auch des sehr viel lang­sa­me­ren Zusam­men­spiels zwischen der Pneu­matik und Geo­me­trie)

 

Welche Länge des Arms bzw. der einzelnen Kam­mern ist über­haupt mög­lich? Wo liegen die Gren­zen?

 

Und nicht zuletzt: Wie genau ist das Zusam­men­spiel der obigen Aspekte zwi­schen den einzel­nen Kam­mern. Denn: Es be­steht ein starker Zusam­men­hang!

 

Alles zusammen eine große Heraus­for­de­rung … aber nicht un­mög­lich. An­ge­nom­men also, die Länge des Aktu­a­tors lässt sich mes­sen und kontrol­lieren. Um nun die End­ef­fektor-Posi­tion (die Posi­tion des Greifers) zu kon­trol­lieren … muss man die aktu­el­le End­ef­fek­tor-Posi­tion kennen!

Die Endeffektor-Position anhand der Geo­metrie des Robo­ters und der Stel­lung der Aktua­toren zu er­rech­nen, nennt sich Vor­wärts-Kine­ma­tik und ist für handels­übliche Robo­ter kein großes Pro­blem, son­dern ein­fache Tri­go­no­metrie. Der BHA gehört allerdings zu einer anderen Klasse von Morpho­lo­gien, genannt Conti­nuum Kine­ma­tics (also in etwa: konti­nu­ier­liche Kine­ma­tik). Dank seiner mecha­ni­schen Flexi­bi­li­tät besitzt dieser Robo­ter­arm unend­lich viele Frei­heits­grade, da jeder Bereich des Robo­ters unter­schied­lich gebo­gen und ge­streckt sein kann. Unend­lich viele Frei­heits­grade kön­nen weder mit Sen­so­ren ge­mes­sen noch berech­net werden.

Als wir unsere Arbeit mit dem BHA be­gon­nen haben, planten wir nicht, die kom­pli­zier­te Kine­ma­tik des BHA zu simu­lie­ren. Da wir uns im Kontext des BHA haupt­säch­lich mit Maschi­nel­lem Ler­nen be­schäfti­gen, wollten wir die End­ef­fek­tor-Posi­tion schlicht messen, um sie be­nut­zen zu können (tun wir auch). Dass wir trotzdem eine Simu­la­tion benö­ti­gen würden, stellte sich heraus, als wir Schwierig­kei­ten in der Vi­suali­sie­rung bekamen. Wir wollten nämlich dar­stel­len, wie die räum­lichen Koor­di­na­ten mit den Be­we­gun­gen des BHA zu­sam­men­hän­gen.

Da Visualisierung Kenntnis der Kinematik voraus­setzt, began­nen wir, sie an­zu­nähern. Selbst wenn sich die Beugung und Streckung von unend­lich vielen Frei­heits­graden nicht berech­nen lässt, so lassen sich doch durch die Längen­senso­ren einige An­nah­men zur Beugung des Arms tref­fen. Die einfach­ste Art der Beugung ist eine kreis­förmige; im drei-dimen­sio­nalen Fall ent­spricht dies einem Torus:

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Torus-Modell zur Annäherung der Beugung des BHA

Das Bild zeigt, wie sich ein Segment mit drei Aktua­toren (in der Ab­bil­dung als graue Röhren dar­ge­stellt) entlang eines Torus verbiegt. Diese Geometrie kann mit drei Parametern beschrieben werden: zwei Winkel (in der Abbildung blau dargestellt) und der Radius des Torus (in der Abbildung rot). Diese drei Parameter können anhand der gemessenen Längen an der Außenseite der BHA-Segmente rekonstruiert werden. Sobald diese Parameter bestimmt sind, ist das Berechnen der Vorwärtskinematik und damit die Bestimmung der Endeffektor-Position (also der Position des Greifers) einfach. Ein Problem tritt lediglich im Grenzfall auf, wenn alle Längen gleich sind, wenn also alle Kammern gleich gestreckt sind. Diese Verformung kann durch einen Torus nicht dargestellt werden, obwohl der BHA zu solch einer Bewegung in der Lage ist. Auch für dieses Problem ließ sich allerdings eine einfache, numerisch stabile Lösung finden. Der BHA lässt sich somit durch Aufeinandersetzen dreier solcher Segmente darstellen und simulieren.

Die gezeigten Torusdeformationen sind sehr einfache Annäherungen des Arms im Vergleich zu kom­plexen Physik des Ver­for­mungs-Pro­blems. Üblicherweise ist diese Art von Annäherung daher nicht hinreichend für diese Art von Robotern (siehe z.B. Trivedi 2008 2 ). Nicht jedoch für den BHA: Hier funktioniert die beschriebene Lösung sehr gut, in unseren Tests sehen wir einen durchschnittlichen Fehler von 1cm auf einer Länge von 1m. Nicht perfekt, aber absolut ausreichend für unsere Zwecke und außerdem durchaus konkurrenzfähig zu Lösungen in der Literatur.

Das folgende Video zeigt das simulierte Modell und unseren BHA:

BHA-Simulation

Der große Vorteil des benutzten einfachen Torus-Modells ist seine Geschwindigkeit in der Berechnung. Unsere Software-Bibliothek ist auf Basis dieses Modells in der Lage, die Vorwärtskinematik des BHA auf einem einzelnen CPU-Kern mehrere zehntausend Mal in der Sekunde zu berechnen. Auch wenn wir diese Simulation ursprünglich nicht geplant hatten, ist sie damit mittlerweile eine essentielles Werkzeug bei unserer Arbeit mit dem BHA geworden. Die interessanten Dinge machen wir weiterhin auch auf der echten Hardware, aber parallel lassen sich nun viele Dinge bequem vorberechnen und darstellen.

Die Kinematik-Simulation ist in C++ implementiert und als Open-Source-Bibliothek verfügbar. Über die folgende Seite kann sie heruntergeladen werden und enthält sowohl die Vorwärtskinematik als auch die gezeigte OpenGL-basierte 3D-Visualisierung: http://www.cor-lab.de/software-continuum-kinematics-simulation Wir freuen uns über Benutzer und Erfahrungsberichte.

Der folgende einfache Code-Schnipsel berechnet zum Beispiel die Vorwärtskinematik des BHA:

// create robot morphology with segment radii 0.1, 0.09 and 0.08 meters ContinuumRobotKinematics kinematics(RealVector(0.1, 0.09, 0.08));
// specify an end effector offset kinematics.setEndEffectorOffset(RealVector(0.0, 0.0, 0.14));
// this is the forward kinematics function:
Mapping<RealVector,RealVector> fwdKin = kinematics.getForwardPositionKinematics();
// try out some posture (a combination of actuator lengths) RealVector posture = {0.2,0.24,0.24,0.2,0.24,0.24,0.2,0.24,0.24};
// this is the resulting end-effector position RealVector position = fwdKin(posture); // [-0.3808, 0, 0.686287]Neben der in diesem Artikel beschriebenen Kinematik-Berechnung und Simulation des BHA, haben wir in den letzten Monaten noch viele weitere spannende Dinge mit dem BHA gemacht, die wir auf der Automatica-Messe im Mai in München zeigen werden:
Um zu sehen wie wir trotz der zahlreichen obigen Probleme mithilfe maschineller Lernmethoden den Greifer auf dem echten BHA im Arbeitsraum zu kontrollieren gelernt haben, lohnt sich also ein Besuch unseres Standes auf der Automatica in München:
Stand 427 und 429 in Halle B3, vom 22. bis 25. Mai.

 

Kontakt:

 

Dipl.-Inform. Matthias Rolf, CoR-Lab – Bielefeld University, mrolf@cor-lab.uni-bielefeld.de

Prof. Jochen Steil, CoR-Lab – Bielefeld University, jsteil@cor-lab.uni-bielefeld.de